Gabriela Molina León, Michael Lischka
Gabriela Molina León, Michael Lischka
Gabriela Molina León und Michael Lischka haben 20 Sozialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler befragt, wie thematische Karten für ihre Zwecke beschaffen sein sollten. Die Studie präsentierten sie auf der IEEE Visualization Conference.

Choroplethenkarten (auch Flächendichtekarten genannt - z.B. Bevölkerungsdichtekarten) sind ein gängiges Mittel, um Forschungsergebnisse grafisch darzustellen. Es gibt dabei eine Vielzahl von Variablen, die die Dastellung beeinflussen, darunter die Projektionsart, den Maßstab, das Zentrum der Karte und die Farbskala. Gabriela Molina León und Michael Lischka haben in Zusammenarbeit mit Andreas Breiter mit einer Befragung untersucht, welche Varianten thematischer Karten Sozialwissenschaftlerinnen und –wissenschaftler für ihre Arbeit bevorzugen. Dafür hatten die 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Möglichkeit, eine thematische Karte anhand der oben genannten Variablen nach ihren Bedürfnissen und Vorlieben anzupassen.

In einem kurzen Interview erläutern Gabriela Molina León und Michael Lischka ihre Ergebniss, die sie am 28. Oktober 2020 auf der IEEE Visualization Conference vorgestellt haben (eine Preprint-Version des Artikels, der in den Conference Proceedings veröffentlicht werden wird, gibt es hier).


Die beliebtesten Weltkarten - zumindest in Europa - basieren auf der genannten Mercator-Projektion. Sie wurde Mitte des 16. Jahrhunderts erfunden und ist auch heute noch weit verbreitet (mit einigen Variationen), z.B. in Nachrichtensendungen. Ist es Zeit für eine neue Art von Weltkarte, wenn es um die sozialpolitische Forschung geht?

Michael Lischka: Es ist nicht die Zeit für eine neue Art von Weltkarte, aber man sollte ein Gespür für die Eigenschaften einer Karte haben, wenn man sie als Informationsmedium versteht. Jede Karte ist der Versuch, ein dreidimensionales Objekt (Globus) zweidimensional abzubilden. Eine direkte Übertragung aller Eigenschaften ist schlichtweg unmöglich, daher ist jede Weltkartenprojektion ein Kompromiss. Dementsprechend können je nach Verwendungszweck der Karte bessere oder schlechtere Entscheidungen getroffen werden. Grundsätzlich kann man zwischen Karten unterscheiden, die jeweils eine von drei Eigenschaften korrekt darstellen: Flächen (flächengleiche Projektionen), Winkel (konform) oder Abstände (äquidistant). Da wir uns nicht mit Entfernungsmessungen an irgendeinem Punkt befassten, schlossen wir äquidistante Karten von vornherein aus.

Für die Navigation sind konforme Projektionen sinnvoll. Bei kleinen Kartenausschnitten sind Winkel- und Flächengenauigkeit nahezu identisch mit der Realität. Dies ist vor allem bei der Routenplanung (z.B. Google Maps), bei Straßenkarten, im Luft- und Seeverkehr ein großer Vorteil. Aber auf globaler Ebene sieht man starke Größenverzerrungen. Da du gerade Mercator erwähnt hast: Diese Projektion stellt räumliche Einheiten größer dar, je näher sie an den Polen liegen. So scheinen Russland, Kanada, die USA, China und Europa viel größer zu sein. Zumal Europa im Zentrum der Darstellung liegt und damit im Vergleich zu Afrika dominant erscheint. Dies kann auch in einer eurozentrischen Berichterstattung sinnvoll sein. Einige Nachrichtenformate haben sogar Rubriken wie "Europa und die Welt". Aber eine solche Projektion kann nicht für eine Forschung verwendet werden, die Länder des "Globalen Südens" gleichberechtigt einbezieht. Zumindest nicht, wenn Karten als Informationsmedium zur Wissensverbreitung genutzt werden. Projektionen eröffnen eine Perspektive auf die Welt.

Für Choroplethenkarten werden allgemein flächentreue Karten empfohlen. Kannst du kurz erläutern, warum das so ist?

Lischka: Flächengleiche Karten stellen die Größe von Landmassen und räumlichen Einheiten korrekt dar. Auf der negativen Seite wird die Form der Landmassen zwangsläufig verzerrt. Wenn man aber Länder auf der Grundlage bestimmter Daten einfärbt, ohne ihre korrekte Fläche darzustellen, verliert man die Möglichkeit, Länder hinsichtlich der Dichte der dargestellten Variablen zu vergleichen. Die Darstellung der richtigen relativen Flächen ist daher eine wesentliche Eigenschaft von Karten, um zuverlässige vergleichende Aussagen zwischen Weltregionen und Ländern treffen zu können. Die einfachsten Beispiele sind Bevölkerungsdichte, Waldbedeckung und landwirtschaftliche Nutzung. Derartige Informationen auf Karten, die nicht flächengetreu sind, können zu Fehlinterpretationen durch den Betrachter führen.

Da flächengleiche Karten Länder so stark verzerren können, dass sie nicht erkannt werden, werden oft Karten verwendet, die einen Kompromiss zwischen Flächengröße und Form eingehen. Zum Beispiel die Winkels-Projektion, die in deutschen Schulatlanten verwendet wird. Weltkarten dieser Art bieten sowohl Gebiets- als auch Formtreue und ermöglichen das Wiedererkennen von räumlichen Einheiten.

Ihr habt die Präferenzen von Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftlern untersucht. Wie sieht ihre Lieblings-Choroplethenkarte aus und warum?

Lischka: Für ihre eigenen Forschungsprojekte war die Equal-Earth-Projektion die dominierende Wahl unter den Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftlern, die an unserer Studie teilgenommen haben. Sie hatten ein ganzes Konglomerat von Gründen - von "ästhetisch ansprechend" bis "sieht richtig aus", "formgetreu" und "flächengetreu". Letztendlich zielte die erste Aufgabe unserer Studie auf die individuellen Bedürfnisse der Forscher ab. Einige von ihnen konzentrierten ihre Forschung auf bestimmte Regionen der Welt, so dass sie die Zoom-Funktion nutzten und genau auf die Wiedererkennbarkeit der jeweiligen Region achteten.

Abbildung 1: Thematische Weltkarte, dargestellt mittels Equal-Earth-Projektion

Abbildung 1: Thematische Weltkarte, dargestellt mittels Equal-Earth-Projektion

Für die beste Darstellung der Forschung über den Globalen Süden setzte sich in unserer Studie die Gall-Peters-Projektion durch, allerdings nur mit knappem Vorsprung. Tatsächlich war die Verteilung sehr ausgewogen. Diese kleine Abweichung ist wahrscheinlich auf die Aufgabe zwei, die wir den Teilnehmern gestellt haben, und den dort erwähnten Hinweis auf die Karte zurückzuführen. Gall-Peters verzerrt am offensichtlichsten die Länderformen und zeigt ein strenges Koordinatensystem, das demonstrativ die Treue zur Gebietsgröße suggeriert. Die Forscher wussten nicht, dass alle Projektionen, die wir ihnen anboten, flächengleich waren, und entschieden daher "im Sinne der Objektivität", teilweise gegen ästhetische Überzeugungen und den Wiedererkennungswert.

Abbildung 2: Thematische Weltkarte, dargestellt mittels Gall-Peters-Projektion

Abbildung 2: Thematische Weltkarte, dargestellt mittels Gall-Peters-Projektion

Es ist nicht nur die Art der Projektion, die eine "gute" Choroplethenkarte der Welt ausmacht - wie sieht es mit den Farben aus?

Gabriela Molina León: Es gibt bekannte Werkzeuge, die mehrere Farbschemata für Choroplethenkarten empfehlen und zum Testen anbieten, wie z.B. Color Brewer. Deshalb haben wir die fünf Farbschemata unserer Studie entsprechend ihren Empfehlungen ausgewählt.

Da die Choroplethenkarte unserer Studie Daten zur Lebenserwartung visualisierte, haben wir sequenzielle Skalen verwendet. Bei der Wahl eines Farbschemas bestimmen die Daten, welche Art von Skala am besten passt: Wenn die visualisierte Variable zwei entgegengesetzte Richtungen kodiert (z.B. negative und positive Temperaturwerte), dann ist eine Skala mit divergierenden Farben (z.B. von dunkelrot bis dunkelblau) am besten geeignet. Wenn die Daten kategorial sind, wird ein kategoriales Schema empfohlen.

Für den Fall von sequentiellen Skalen wurde kürzlich bestätigt, dass Leser dazu neigen, dunklere Farben mit höheren Werten zu assoziieren, daher haben wir Farbschemata bevorzugt, die dieser Assoziation folgen.

Welches waren die Farben der Wahl unter den Wissenschaftlern, mit denen Sie zusammengearbeitet haben?

Molina León: Das gelb-grün-blaue Farbschema (YlGnBu, verfügbar unter https://observablehq.com/@d3/color-schemes) war das am häufigsten gewählte Schema. Von den 40 Karten, die von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erstellt wurden, verwendeten 23 dieses Schema.

Interessanterweise erwähnten sie in ihrer Argumentation etwas, das wir nicht erwartet hatten: Sie wünschten sich ein graues Farbschema (oder eines, das in Graustufen gut aussieht), weil sie oft nicht die Möglichkeit haben, in ihren Publikationen Farben zu verwenden.


Kontakt:
Michael Lischka
Gabriela Molina León
SFB 1342: Globale Entwicklungsdynamiken von Sozialpolitik
Mary-Somerville-Straße 7
28359 Bremen
Tel.: +49 421 218-57067
E-Mail: molina@uni-bremen.de