Hannes forscht im Informationsinfrastrukturprojekt zu Parteipositionen und deren Implikation für Sozialpolitik. In seiner Doktorarbeit möchte er hierfür einen neuen Ansatz entwickeln, der auf quantitativer Textanalyse und Natural Language Processing fußt.Lieber Hannes, was hast du vor dem SFB gemacht, über dich findet man nicht allzu viel im Internet.
Wenn man mich googlet, findet man "Hannes Salzmann, Sand im Getriebe des Kapitals": Ich als Musiker auf der 1. Mai-Demo in Braunschweig. Mit Musik – Gitarre und Gesang – habe ich mir im Nebenjob Geld verdient. Fachlich habe ich in Göttingen studiert. Wobei: Angefangen zu studieren habe ich mit Informationssystemtechnik in Braunschweig. Aber schon im ersten Semester habe ich gemerkt, dass Ingenieursmathe nichts für mich ist, und bin nach Göttingen gezogen, um Politikwissenschaft und VWL zu studieren, Anschließend habe ich einen Master in Politikwissenschaft gemacht, wobei ich mich dabei auf Demokratie- und Parteienforschung konzentriert habe und auf quantitativen Methoden: das ging bis hin zu supervised und unsupervised Machine Learning, Text as Data und quantitative Textanalyse.
Das passt ja sehr gut zu dem, was hier am SFB gefordert wird.
Ja, als ich die Stellenausschreibung gesehen habe, dachte ich: Wow, das passt ja wie die Faust aufs Auge! Ich hatte dann das Glück, die Stelle tatsächlich zu bekommen. Zumal ich mit meiner Partnerin erst vor einem Jahr nach Bremen gezogen war.
Was hat euch den dazu gebracht, ohne Stelle nach Bremen zu ziehen?
Meine Partnerin und ich hatten in verschiedenen Städten studiert. Während der Pandemie haben wir uns gedacht, wird können von überall aus studieren. Wir wollten in den Norden, Hamburg war uns zu groß – also: Bremen. Ich habe dann hier meine Masterarbeit geschrieben und bin im Januar fertig geworden.
Januar 2022? Das war ja optimales Timing mit Blick auf die Stelle im SFB.
Das war unverschämtes Glück. Zumal ich durch die Masterarbeit gemerkt habe, dass mir Forschung unheimlich viel Spaß macht.
Was hast du in deiner Masterarbeit untersucht?
Lobbyismus. Sehr spannend, aber in Deutschland noch untererforscht, weil die Datenlage im Vergleich z.B. zu den USA sehr schlecht ist. 2013 gab es eine Studie auf Europaebene von Heike Klüver. Sie hat sich angesehen, welche Faktoren ausschlaggebend sind für den Erfolg von Lobbyismus: Wie viel Geld hat ein Verband, wie viele Personen kann er mobilisieren und wie viel Information gibt er der Politik? Klüver hat Gesetzesentwürfe und fertige Gesetzestexte verglichen und dazu sämtliche Stellungnahmen von Lobbyverbänden analysiert. Dazu hat sie den Wordfish-Algorithmus benutzt. Der Algorithmus ordnet die Texte auf einer Skala ein – wenn es beispielsweise um den Ausbau von Windkraft geht, zwischen den Extrempositionen a) "So viel Windkraft wie technisch möglich" und b) "Überhaupt keine Windkraft mehr". Dadurch erhält man, anhand der Textdokumente, eine räumliche Distanz zwischen Akteuren.
Klüver hat dann angenommen, dass Akteure, die auf der gleichen Seite der Skala sind, eine Lobbyismuskoalition abgeschlossen haben. Dann hat sie geschaut: Welche Koalition gewinnt? In welche Richtung bewegt sich der Gesetzestext, bezogen auf den ursprünglichen Entwurf? Anschließend hat sie eine multiple Regression gerechnet mit den Faktoren finanzielle Mittel der Lobbygruppen, Wähler:innenunterstützung und Informationsfluss. Das hat Klüver für 56 Gesetzgebungsverfahren gemacht. Durch die Untersuchung konnte sie einen statistisch signifikanten positiven Zusammenhang zwischen allen drei Variablen und dem Erfolg der Lobbybemühungen nachweisen. Geld besitzt dabei zwar den höchsten Einfluss und Wähler:innenunterstützung den geringsten, die Unterschiede sind jedoch minimal.
In meiner Masterarbeit wollte ich Klüvers Ansatz auf Deutschland übertragen. Ich habe mir einen eigenen Datensatz zur Energiepolitik zusammengesammelt mit rund 1500 Dokumenten. Das war extrem aufwändig, weil es in Deutschland keine zentrale Sammelstelle für Stellungnahmen zu Gesetzesentwürfen und auch keine Veröffentlichungspflicht gibt.
Als ich dann meine Regression gerechnet habe, kam heraus, dass ich 5 Prozent der Varianz zwischen Gesetzentwurf und finalem Gesetzestext erklären kann – es hat sich also im Sinne meines Erkenntnisinteresses überhaupt nicht gelohnt! Ich konnte lediglich zeigen, dass offensichtlich die Datengrundlage in Deutschland unzureichend ist, um so eine Lobbyismus-Analyse durchzuführen.
Hättest du im Rückblick etwas anders gemacht?
Ja, ich würde mein Analysesystem um den „Grad der Nähe“ als Variable erweitern: Wer lediglich eine schriftliche Stellungnahme abgibt, ist recht weit weg von den Entscheidungsgremien, wer aber den Bundesminister persönlich trifft, wird wahrscheinlich weitreichenden Einfluss haben. Ich habe Fälle recherchiert, in denen Lobbyisten sogar in Ausschüssen saßen – auch da kann man von einem großen Einfluss ausgehen.
Außerdem würde ich das Thema stärker eingrenzen: Energiepolitik als Ganzes war zu breit, und der Gesetzestext mit über 300 Seiten zu umfangreich. Die Stellungnahmen haben sich dadurch z.T. auf Abschnitte des Gesetzes bezogen, die relativ wenig miteinander zu tun hatten. Ich hätte besser vorher ein Topic Modelling machen sollen, um einen stärkeren Fokus zu erreichen.
Schön war aber, dass ich durch die automatisierte Analysemethode Textdaten in einer Menge verarbeiten konnte, die händisch nie möglich gewesen wäre.
In deiner jetzigen Arbeit im SFB knüpfst du an diese Erfahrungen und Methoden an: Was hast du genau vor?
Ich bin arbeite jetzt im Informationsinfrastrukturprojekt: Meine Aufgabe wird zunächst sein, Parteiprogramme zu sammeln und zu analysieren. Wir versuchen ja, weltweit Parteipositionen zu bestimmen und ihre Auswirkungen auf Sozialpolitik zu messen. Klassische Wege, Parteipositionen zu bestimmen, sind die Befragung von Expert:innen und die Analyse von Parteiprogrammen. Das hat aber Nachteile: Expert:innen sind nicht immer verfügbar für alle Parteien. Und Parteiprogramme sind keine objektiven Daten, sondern strategische Dokumente: Sie haben den Zweck, die Partei in einer gewünschten Art öffentlich darzustellen, und dienen nicht immer dazu, die Ziele einer Partei realistisch darzustellen. Außerdem kann sich die Position einer Partei im Laufe einer Legislaturperiode ändern.
Daher würde ich gern einen neuen Ansatz entwickeln, Parteipositionen zu messen. Meine erste Idee war über den policy output. Das hat den Schwachpunkt, dass man das nur auf Regierungsparteien anwenden kann …
… im Grunde sogar nur auf alleinregierende Parteien …
Richtig! Man müsste alle Nebenfaktoren, Koalitionspartner, Vetospieler, den Bundesrat usw. herausfiltern. Das ist schwierig.
Es gibt in Deutschland aber ein Archiv mit allen Parlamentsdiskussionen samt Namen und Parteizugehörigkeit der Redner:innen. Ich möchte versuchen, automatisiert ideologischen Positionen aus Parlamentsredebeiträgen zu entnehmen und daraus Parteipositionen herzuleiten. Dazu möchte ich noch mal etwas tiefer einsteigen in die Bereiche Quantitative Textanalyse und Natural Language Processing.
Welchen Zeitraum nimmst du dir vor?
Welchen Zeitraum ich mir anschaue, hängt aber auch von der Art des Algorithmus ab, den ich verwenden werde. Da gibt es mehrere zur Auswahl. Ich bin froh, dass wir im INF-Projekt zwei Informatikerinnen haben, mit denen ich mich über solche Dinge unterhalten kann. Sobald ich weiß, was technisch möglich ist, kann ich besser einschätzen, wie viele Dokumente ich analysieren kann und wieviel Vor- und Nacharbeit nötig sein werden.
Wirst du deine Analyse auf einen Bereich der Sozialpolitik beschränken?
Ich denke, ich werde mir nicht nur sozialpolitische Redebeiträge ansehen, sondern auch andere Bereich berücksichtigen. Bei der Bestimmung der Parteiposition möchte ich von der klassischen Einteilung in links und rechts wegkommen – mir schwebt eine doppelte Skala vor, die eine Libertäre vs. Autoritäre und eine querliegende Marktfreiheitliche vs. soziale Gerechtigkeits Dimension besitzt. Aus einer solchen Einteilung könnte eventuell auch meine Arbeit im SFB profitieren, da eine genauere Bestimmung der sozialpolitischen Position von Parteien auch besseren Aufschluss über den dementsprechenden Einfluss auf Sozialpolitik ermöglichen könnte. Dadurch hoffe ich, zwischen meiner Dissertation und meiner Projektarbeit weitere positive Synergieeffekte schaffen zu können.
Kontakt:Hannes Salzmann