Teilprojekt B06 (2022-25)
Rohstoffboom und Sozialpolitik in autoritären Regimen. Mittel strategischer Machtsicherung?
Nach der in der ersten Phase des SFB untersuchten vertikalen Interdependenzform "Ideenaustausch" über Internationale Organisationen steht in der zweiten Phase die horizontale Interdependenzform "Internationale wirtschaftliche Verflechtung/Handel" im Mittelpunkt der Analyse. Als Ausgangspunkt der Analyse dienen die Ergebnisse der ersten Phase, die für den postsowjetischen Raum erstens eine hohe Erwartungshaltung der Bevölkerung hinsichtlich einer expansiven Sozialpolitik, zweitens die Entwicklung eigenständiger politischer Strategien seitens der nationalen Entscheidungsträger und drittens Umsetzungsprobleme zeigen, die in der Literatur und in politischen Debatten häufig auf fehlende finanzielle Ressourcen zurückgeführt werden.
Eine systematische Analyse der Bedingungen, unter denen angemessene öffentliche Finanzen tatsächlich zu einer umfassenden und nachhaltigen Verbesserung der staatlichen Sozialpolitik führen können, lässt sich am besten für eine Gruppe relativ ähnlicher Länder durchführen, von denen einige einen massiven und plötzlichen Anstieg der Staatseinnahmen ohne Einschränkungen (d. h. "Windfall Profits") erlebt haben. Eine Regierung kann solche Windfall-Profite durch den Export von Rohstoffen erzielen, deren Weltmarktpreise dramatisch steigen. Durch einen paarweisen Vergleich können diese Länder mit Ländern verglichen werden, die in den 1990er-Jahren ein ähnliches sozioökonomisches Entwicklungsniveau aufwiesen, aber keinen solchen Rohstoffboom erlebten (insbesondere: Russland - Ukraine, Kasachstan - Kirgisistan, Aserbaidschan - Georgien). Da die untersuchte Region vor allem autoritäre Regime (unterschiedlicher Art) umfasst, kann das Projekt auch einen Beitrag zur Debatte über die Legitimität von Regimen leisten, die in der Autoritarismusforschung gerade erst begonnen hat und bei der die Rolle der Sozialpolitik bisher vernachlässigt wurde.
Die Analyse versucht, die folgenden Mechanismen zu erfassen: Ein rohstoffbasierter Exportboom führt zu einem drastischen Anstieg der Staatseinnahmen und weckt in der Bevölkerung Erwartungen (und möglicherweise soziale Proteste) hinsichtlich einer gerechten Verteilung des Wohlstands. Dies bildet den Ausgangspunkt für politische Entscheidungsprozesse, deren konkreter Verlauf von der Art des Regimes abhängt. Die getroffenen Entscheidungen werden dann (im Rahmen der bestehenden Regierungskapazitäten) umgesetzt und der Öffentlichkeit vermittelt. Die Wahrnehmung positiver Veränderungen in der Reichweite und im Leistungsniveau der Sozialpolitik kann als Mittel zur Legitimation und damit zur Absicherung autoritärer Herrschaft dienen. Umgekehrt kann ein Verfall der Weltmarktpreise für exportierte Güter oder ein Scheitern sozialpolitischer Maßnahmen (z. B. aufgrund mangelnder Governance-Kapazitäten und Korruption) zu einer Verschlechterung der sozialen Leistungen mit potenziell negativen Folgen für die Legitimation des autoritären Regimes führen.
Im Projekt wird ein Mixed-Methods-Design detaillierte Fallstudien zur Identifizierung konkreter Kausalzusammenhänge mit einem anschließenden Large-N-Test der so verfeinerten Hypothesen kombinieren.