Teilprojekt B03 (2018-2021)

Internationale Komplementaritäten in der Entwicklung nationaler Wohlfahrtsstaaten. Die Transatlantische Sphäre (1870-2020)

Wir untersuchen in diesem Teilprojekt die komplementäre Entwicklung von Sozialpolitik in mehreren Staaten unter den Bedingungen intensivierter weltwirtschaftlicher Verflechtung. Wir konzentrieren uns auf den Zusammenhang zwischen transatlantischem Handel und Sozialpolitik. Im Teilprojekt wird systematisch untersucht, wie sich die jeweiligen Interessenlagen von Wählergruppen und politischen Parteien, die sich aus den ökonomischen Verflechtungen ergeben, je nach politischen Konflikt- und Kooperationsmechanismen in staatliche Politiken übersetzen und wie sie damit langfristig das besondere institutionelle Profil der jeweiligen Sozialstaaten und Politischen Ökonomien formen.

Unsere zentrale Forschungsfrage lautet: Inwieweit hat die horizontale ökonomische Verflechtung zwischen den Staaten Amerikas und Westeuropas zur Herausbildung komplementärer Sozialstaatsregime und Politischer Ökonomien geführt und welche Verteilungskoalitionen haben jeweils hinter diesen Entwicklungen gestanden? Komplementarität bezeichnet Unterschiede in der institutionellen Entwicklung ihrer politischen Ökonomien, die sich wechselseitig bedingen. Der zentrale kausale Mechanismus ist die sich ausbildende wirtschaftliche Arbeitsteilung, die sich politisch in unterschiedlichen Verteilungskoalitionen niederschlägt. Diese Koalitionen sollen im Teilprojekt historisch für die Parteien und gegenwartsbezogen für die Wählerschaft erhoben werden. Zentrales Thema des Teilprojektes ist: Wie entwickeln sich dann durch die internationale Arbeitsteilung, also auf der Grundlage komparativer Kostenvorteile, jeweils komplementär die Institutionen des Sozialstaats - vermittelt durch politische Prozesse - und wie stabilisieren sie sich in ihrer Unterschiedlichkeit wechselseitig. Wir formulieren damit eine klare Erklärungsalternative etwa zu modernisierungstheoretischen Konvergenzvorstellungen.

Im Teilprojekt werden einerseits die politischen, insbesondere die sozial- und handelspolitischen Krisenreaktionen in Nordamerika und Westeuropa bis zum Zweiten Weltkrieg rekonstruiert. Mit Blick auf die Zeit nach 1945 wird diese Perspektive andererseits auf die weltwirtschaftliche Integration Südamerikas und seine Industrialisierungsstrategie bis hin zu den handelspolitischen Konflikten der Gegenwart erweitert. Die Untersuchung konzentriert sich dabei auf die Interaktion zwischen - außenwirtschaftlich geprägten - gesellschaftlichen Interessenlagen und ihrer politischen Vermittlung in den Mehrparteiensystemen Westeuropas, im Zweiparteiensystem der USA bzw. in den klientelistisch geprägten präsidentiellen Systemen Lateinamerikas mit ihren je unterschiedlichen Kapazitäten, lokale versus "funktionale" Interessen zu repräsentieren. Das Ziel des Teilprojektes ist es, einen konzisen, mit dem Ansatz der "Spielarten-des-Kapitalismus" ("varieties of capitalism") vereinbaren theoretischen Rahmen zu entwickeln, der für die sich wechselseitig beeinflussende Ausbildung der westeuropäischen, latein- und nordamerikanischen Sozialstaaten gültig ist. So können wir einen bislang auf Westeuropa konzentrierten Ansatz systematisch erweitern. Methodisch kombinieren wir historisch-vergleichende Fallstudien, quantitative Analysen auf der Makroebene und Umfragedaten auf der Mikroebene.