Liebe Anh, was hast du vor dem SFB gemacht?
Ich bin von London hierher gezogen, wo ich für Development Pathways gearbeitet habe, eine wissenschaftliche Beratungsagentur. Ich habe mich hauptsächlich mit Fragen der Inklusion und Exklusion im Bereich sozialer Sicherung beschäftigt.
An wen war die Arbeit gerichtet?
Die Agentur ist international ausgerichtet, und die meisten Projekte wurden von den Vereinten Nationen und Nichtregierungsorganisationen in Auftrag gegeben: Ich habe mit Akteuren im Globalen Süden zusammengearbeitet, u. a. bei der Beratung von Regierungsbehörden und bei Forschungsarbeiten mit lokalen Communities. Ich habe an Projekten in mehreren Ländern in Ostafrika und Asien mitgewirkt.
War das dein erster Job nach der Universität?
Ja, ich habe etwa fünfeinhalb Jahre lang für Development Pathways gearbeitet. Davor habe ich in Maastricht meinen Master-Abschluss in Public Policy und Human Development gemacht. Ich hatte das Glück, eine forschungsbezogene Stelle im Bereich Sozialschutz zu finden, da dies der Schwerpunkt meines Masterstudiums war. Ich habe mich auf Sozialschutz, Politikdesign und Finanzplanung spezialisiert.
Worüber hast du deine Masterarbeit geschrieben?
Ich habe über die Ungleichheit der Bildungschancen in Vietnam geschrieben. Inspiriert wurde ich dadurch, dass meine Familie von dort stammt, und dass ich wusste, dass das Bildungssystem zunehmend privatisiert wird und der Zugang zu Bildung mehr von privaten Mitteln abhängt. Das hat mein Interesse geweckt, die Ursachen für diese Ungleichheiten genauer zu untersuchen.
Was ist deiner Ansicht nach die Ursache für diesen Privatisierungstrend und diese Ungleichheiten im Bildungsbereich?
Das Wirtschaftswachstum hat zu einem Rückgang des allgemeinen Armutsniveaus und einem Anstieg des Grundbildungsniveaus geführt, gleichzeitig hat die Marktwirtschaft bei der Bereitstellung von Bildung in Vietnam an Bedeutung gewonnen. Interessanterweise konnte ich keinen signifikanten Unterschied zwischen den Bildungschancen - in Bezug auf die Qualität der Bildung und den Bildungserfolg - von Schüler:innen feststellen, die eine öffentliche oder private Schule besuchen. Allerdings spielte das Vorhandensein von Bildungs- und Kulturressourcen im Elternhaus eine Rolle. Das Wohlstandniveau der Familien und ihr Zugang zu Ressourcen, die das schulische Engagement ihrer Kinder fördern, wirkten sich also auf die schulischen Leistungen aus. Außerdem waren Schüler:innen aus ländlichen Hochlandgebieten, in denen mehr ethnische Minderheiten leben, stärker benachteiligt. In anderen Studien wurde auch festgestellt, dass immer mehr Kinder in städtischen Gebieten Privatunterricht oder Nachhilfe erhalten, was zu größeren Ungleichheiten zwischen den Bevölkerungsgruppen führt.
Du kommst aus den Bereichen Sozialschutz und Bildungspolitik. Wie groß ist die Umstellung für dich, jetzt für das SFB-Projekt A06 zu arbeiten, das Familienpolitik untersucht?
Die Umstellung ist eigentlich nicht allzu groß. In meiner Masterarbeit habe ich mich zwar mit Bildungspolitik beschäftigt, aber der Schwerpunkt lag eher auf Gerechtigkeit und sozialer Ausgrenzung. Bei Development Pathways habe ich mich auf ähnliche Probleme konzentriert, aber untersucht, wie diese durch soziale Sicherheit gelöst werden können. Ich habe mich mit den Möglichkeiten befasst, Einkommenssicherheit über den gesamten Lebenszyklus hinweg anzugehen - von der Kindheit bis ins hohe Alter, einschließlich der Herausforderungen für Menschen mit Behinderungen. Im Rahmen des Projekts A06 werde ich mich vor allem auf die Erhebung von Daten und die Bewertung der Reichweite und Generosität von Kindergeld konzentrieren.
Kindergeld ist in den OECD-Ländern/im Globalen Norden weit verbreitet - wie sieht es im Globalen Süden aus?
Im Globalen Süden gibt es eine beträchtliche Anzahl von Ländern, die irgendeine Art von Kindergeld zahlen, allerdings in sehr unterschiedlichen Ausprägungen und Größenordnungen. In einigen Ländern Afrikas und Asiens gibt es beispielsweise Sozialversicherungsregelungen für Familien, die jedoch nur für bestimmte Sektoren des formellen Arbeitsmarktes gelten. Eine wachsende Zahl von Ländern führt - auch unter dem Einfluss der globalen Agenda - Geldtransfers (Social Cash Transfers) zur Unterstützung von Familien ein, obwohl diese oft auf den gesamten Haushalt ausgerichtet sind und die Kriterien für die Berechtigung vom Armuts- oder Gefährdungsstatus abhängen. Sie waren in erster Linie als Armutsbekämpfung gedacht und nicht als individuelle Kinderbeihilfe, wie wir sie in den meisten Ländern des Globalen Nordens finden.
Würdest du diese Länder dann von deiner Untersuchung ausschließen? Ich vermute, man müsste sehr genau definieren, wie das Kindergeld aussehen muss, um die Daten vergleichbar zu halten ...
Nun, das ist in der Tat noch die Frage. Mein Vorgänger Simone Tonelli hat sich bereits mit den historischen Wurzeln des Kindergeldes und mit der Gesetzgebung befasst. Und er hat auch eine ganze Reihe von Geldtransferprogrammen mit einbezogen. In meiner Dissertation möchte ich untersuchen, wie diese Art von Programmen entstanden ist und welchen Einfluss transnationale Institutionen auf die nationale Politikgestaltung hatten. Und aus der Geschlechterperspektive möchte ich untersuchen, wie wirksam diese Programme in Bezug auf die Unterstützung von Familien und Frauen sind und die Kosten für die Kinderbetreuung berücksichtigen, und ob sie wirklich die soziale Inklusion fördern oder auf der traditionellen Rolle der Frauen als Mütter und Kinderbetreuerinnen beruhen, was ein Hindernis für ihre Teilnahme am Arbeitsmarkt darstellen kann.
Wie möchtest du die Daten erheben? Kannst du globale Datenbanken über das Internet nutzen oder musst du auch reisen, um dir konkrete Fälle ansehen?
Ich bin noch dabei, das zu klären. Es gibt eine ganze Reihe von Daten, die unser Team in WeSIS eingespeist hat, und es gibt Datensätze, die versuchen, die Teilhabe von Frauen sowie die Reichweite und Generosität von Kindergeld zu messen. Aber über die Makroebene hinaus möchte ich in meiner Dissertation Methoden-Mix anwenden, also quantitative Methoden mit qualitativen Fallstudien kombinieren. Das würde es mir ermöglichen, auch die Intersektionalität sozialer Inklusion und Exklusion zu erforschen, d. h. die Frage, ob Inklusion und Exklusion nicht nur mit dem Geschlecht, sondern auch mit der sozialen Stellung in der Gesellschaft, dem Einkommen, der ethnischen Zugehörigkeit, der Kaste oder einer Behinderung zu tun haben.
Das klingt ziemlich spannend!
Vielleicht ein bisschen ambitioniert, und ich werde es sicher eingrenzen müssen, aber ja, ich bin hochmotiviert!
Hast du schon irgendwelche Pläne für die Zeit nach deiner Promotion?
Bei meiner vorherigen Arbeit ging es um die Umsetzung von Forschungsprojekten, eine Mischung aus Beratung und Unterstützung von Regierungen und politischen Entscheidungen. Ich bin dann von der Beratung zum SFB gewechselt, weil ich die Forschungsaspekte meiner Arbeit schon immer spannend fand. Und genau darauf konzentriere ich mich jetzt. Generell interessiere ich mich aber sehr dafür, wie Forschung und politische Entscheidungsfindung ineinandergreifen. Ich bin mir noch nicht sicher, in welcher Eigenschaft ich weiterarbeiten möchte, aber ich bin sicher, dass ich im Laufe der Promotion eine Idee dazu bekommen werde.