Dominik Gall, Doktorand im Teilprojekt B11 des SFB 1342 und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Geschichte Lateinamerikas des Instituts für Geschichte der Universität Bremen, arbeitet zur Geschichte der Sozialpolitik in Argentinien von 1880-1949 und ihren Verbindungen zur Zuckerindustrie in Jujuy aus einer globalhistorischen Perspektive. Dabei werden vor allem Wechselwirkungen und Beziehungen zwischen Protektionismus und Sozialpolitik sowie ihre multidimensionalen wirtschaftlichen, ökonomischen und gesellschaftlichen Verflechtungen in den Blick genommen. Beispiele hierfür sind wirtschaftliche Schocks und Krisen, Immigration, oder transnationale Wissenstransfers. Diese globale Perspektive in Verbindung mit dem regionalen Fokus auf die Provinz Jujuy, die auf den ersten Blick weit entfernt vom politischen und wirtschaftlichen Zentrum Argentiniens - Buenos Aires - zu sein scheint, erzeugt neue Forschungsimpulse, indem sie den nationalen Rahmen als räumliche Eingrenzung des Forschungsgegenstands aufbricht. Zum anderen erforscht das Dissertationsprojekt ideengeschichtlich die Verknüpfung der "sozialen Frage" mit der "indigenen Frage" vor dem Hintergrund der Konsolidierung des noch jungen Nationalstaats. In diesem Kontext soll unter besonderer Berücksichtigung globalisierter Wissensproduktion die repressive Dimension von Sozialpolitik untersucht werden.
Um diesem Forschungsinteresse nachzugehen, reiste Dominik Gall im Oktober und November 2024 nach Argentinien. Dort besuchte er nicht nur die Hauptstadt Buenos Aires zu Recherchezwecken, sondern bereiste auch Jujuy, die nördlichste Provinz Argentiniens. Ziel der Reise war es, relevante Quellen zu identifizieren, zu lokalisieren und auszuheben, die Aufschluss geben über den Nexus von Sozialpolitik, Protektionismus und Nationalstaatskonsolidierung.
In Buenos Aires konnte Dominik Gall verschiedene Standorte des Nationalarchivs, das Kongressarchiv, sowie relevante Bibliotheken, wie die Biblioteca Nacional Mariano Moreno (argentinische Nationalbibliothek) besuchen. In den Archiven der Hauptstadt fand er vorrangig Quellen, die Einblicke geben über die Kommunikation zwischen der Nationalregierung und den einzelnen Provinzen, sowie über Einschätzungen der politischen und sozialen Lage. Die ideengeschichtliche Analyse dieser Dokumente soll Erkenntnisse über die handels- sowie sozialpolitische Vorstellungswelten und Diskurse der relevanten Akteure und damit über deren Handlungsspielräume liefern. In San Salvador de Jujuy erhielt Dominik Gall Zugang zum Archivo de Tribunales (Gerichtsarchiv), zum Archivo historico de la Provincia (Historisches Provinzarchiv), zum Archivo historico del poder legislativo, sowie zum Zeitschriftenarchiv. Der dort recherchierte Quellenkorpus besteht unter anderem aus Korrespondenzen zwischen den Zuckerindustriellen und der lokalen Regierung, aus Protokollen zu Gesetzesvorhaben und parlamentarischen Beratungen, aus jährlichen Ansprachen der Provinzregierung und Prozessakten zu Arbeitsunfällen. Besonders von letzteren verspricht sich Dominik Gall Erkenntnisse über die marginalisierte Stellung der verschiedenen, in Jujuy lebenden indigenen Gruppen in Bezug auf sozialpolitische Vorhaben.
Die Reise hat verdeutlicht, dass sich die Zuckerindustrie in Jujuy aus mehreren Gründen als passender Untersuchungsgegenstand für die Erforschung der Erkenntnisinteressen des Teilprojektes B11 erweist. Der massive Boom, den die dortige Industrie um die Jahrhundertwende erfuhr, der Schutz durch protektionistische Maßnahmen, die Einbindung in den Weltmarkt, die Ausbeutung indigener Arbeitskraft und der extensive politische Einfluss der ingenios (Zuckermühlen) machen sie zu Kristallisationspunkten, an denen globale Verflechtungen der argentinischen Sozialpolitik ablesbar werden.
Kontakt:
Dominik Gall
SFB 1342: Globale Entwicklungsdynamiken von Sozialpolitik
Universitäts-Boulevard 13
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Tel.: +49 421 218-67203
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