Teilprojekt B11 (2022-2025)
Protektionismus und Sozialpolitik in den Amerikas, 1890–2020
Das Projekt untersucht den Zusammenhang zwischen Sozialpolitik und Protektionismus in der modernen Geschichte Argentiniens und der Vereinigten Staaten. Der untersuchte Zeitrahmen reicht von der Belle Époque der Globalisierung vor 1914 über die Zeit der Deglobalisierung im Zeitalter der Weltkriege und der Weltwirtschaftskrise bis hin zur zweiten Welle der wirtschaftlichen Globalisierung, die in den 1950er-Jahren begann und seit den 1980er-Jahren eine neue Qualität und Dynamik gewonnen hat.
In einem ersten Schritt zielt das Projekt darauf ab, die kritischen Wendepunkte und Sequenzen der Sozial- und Handelspolitik in beiden Ländern zu identifizieren, indem die Reichweite ihrer Maßnahmen und ihr Leistungsumfang als Schlüsselindikatoren verwendet werden. In einem zweiten Schritt geht es darum, die Korrelationen zwischen den beiden Ebenen zu analysieren und zu erklären. Der untersuchte Zeitraum von mehr als einem Jahrhundert erlaubt die Beobachtung recht unterschiedlicher Konstellationen in der Sozial- und Handelspolitik: Zum Teil fungierten Protektionismus und Sozialpolitik als funktionale Äquivalente, die dazu dienten, bestimmte Gruppen vor den Folgen der weltwirtschaftlichen Integration zu schützen bzw. sie von deren Auswirkungen freizustellen. In anderen Fällen verstärkten sie sich gegenseitig, etwa wenn Wohlfahrtsprogramme durch Zolleinnahmen finanziert wurden oder wenn Handelsbeschränkungen die Entwicklung von Industrien erleichterten, deren Arbeitskräfte die Einführung von Sozialversicherungssystemen verlangten. Schließlich konnten Sozialstandards auch als nützliche protektionistische Instrumente dienen, um Importe aus Niedriglohnländern zu verhindern.
Mit dem Fokus auf Argentinien und die Vereinigten Staaten von Amerika untersucht das Projekt Länder, die vor dem Ersten Weltkrieg beide durch eine hohe Wirtschaftsleistung, eine starke Zuwanderung und eine bis weit ins 19. Jahrhundert zurückreichende, stark protektionistische Tradition gekennzeichnet waren. Vor diesem Hintergrund will das Teilprojekt mit Hilfe von Methoden des historischen Vergleichs erklären, warum Argentinien und die Vereinigten Staaten bei der Entwicklung der Sozial- und Handelspolitik im 20. Jahrhundert völlig unterschiedliche Richtungen eingeschlagen haben. Aber nicht nur durch den historischen Vergleich überschreitet das Teilprojekt die analytische Einheit des Nationalstaates, die in Studien zur Geschichte des Wohlfahrtsstaates oft als selbstverständliche Basis verwendet wird. Vielmehr geht es davon aus, dass sich die zentralen Triebkräfte der sozial- und handelspolitischen Entwicklung nicht im Rahmen des Nationalstaates abspielen, sondern nur aus einer transnationalen, globalgeschichtlichen Perspektive erklärt werden können. Dabei konzentriert sich das Teilprojekt vor allem auf drei Dynamiken und die von ihnen ausgehenden Impulse: die Veränderung weltwirtschaftlicher Rahmenbedingungen, den Einfluss supranationaler Verträge bzw. Organisationen wie GATT oder WTO und die Folgen transnationaler Transfers von sozial- und handelspolitischen Modellen und Praktiken.