Dr. John Berten
Dr. John Berten
John ist Postdoc an der Uni Bielefeld und forscht u.a. zum Einfluss von Indikatoren und Zukunftsprognosen auf die Arbeit internationaler Organisatoren. In Teilprojekt B12 untersucht er die ILO als Akteur im Covid-19-Krisenmanagement.

Als erstes muss ich dich fragen, wie man deinen Vornamen ausspricht?

Da ich viel mit internationalen Kolleg:innen arbeite, lasse ich ihn inzwischen englisch aussprechen (also: dʒɒn), auch wenn meine Familie meinen Vornamen immer schwedisch (jᴐn) ausgesprochen hat – meine Mutter kommt nämlich aus Schweden.

Sehr schön, dann wäre das geklärt. Du bist Postdoc an der Uni Bielefeld und seit diesem Jahr Mitglied des SFB 1342. Beschreib doch bitte kurz deinen akademischen Werdegang.

Ich habe in Bielefeld studiert, im Bachelor Sozialwissenschaften und im Master Soziologie. Während dieser Zeit war ich Hilfskraft in einem Projekt von Lutz Leisering, in dem es um die Ausweitung sozialer Grundsicherungssysteme im Globalen Süden ging. Diese Arbeit hat mein Interesse für Sozialpolitik und Sozialpolitikforschung geweckt, und ich habe auch meine Masterarbeit im Rahmen dieses Projektes geschrieben. Im Anschluss bin ich nach Bremen gegangen und habe als Fellow an der BIGSSS meine Doktorarbeit geschrieben. Mein Erstbetreuer war Martin Nonhoff, und mein Zweitbetreuer Lutz Leisering. Den Abschluss meines Doktors habe ich mit einer Stelle in Bielefeld verbunden und bin anschließend als Postdoc nach Tübingen gegangen zu Martin Seeleib-Kaiser im Arbeitsbereich Comparative Public Policy. Und jetzt bin ich wieder in Bielefeld gelandet, bei Alexandra Kaasch.

Deine Doktorarbeit würde mich genauer interessieren? Wozu hast du geforscht?

Über den Einfluss von Indikatoren und Statistiken in der Globalen Sozialpolitik. Dieses Thema hat mich schon während meiner Arbeit als Student in dem Bielefelder Projekt sehr interessiert: Da wurde deutlich, welchen Einfluss auf die Ausweitung sozialer Grundsicherung die Tatsache hatte, dass man ein individuelles Armutsmaß zur Verfügung hatte: "One Dollar a Day". Das entstand erst um 1990. In meiner Masterarbeit habe ich aufgeschlüsselt, dass dieses Maß eine der epistemischen bzw. wissensbedingten Grundbedingungen dafür war, dass die Grundsicherungspolitiken so einen großen Anklang fanden. Und das habe ich im Rahmen meiner Doktorarbeit weiter ausgeführt und gefragt, welchen sonstigen Wissens-Voraussetzungen globale Sozialpolitik unterliegt: Ich habe eine historische Arbeit geschrieben über die Rolle internationaler Organisationen in diesem Zusammenhang, mit der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und der Weltbank als Fallbeispiele. Ich habe also untersucht, wie diese beiden IOs globale Sozialpolitik als Wissensobjekt mit Hilfe von Zahlen, Indikatoren und Statistiken konstituiert haben.

Kannst du ein Beispiel geben?

Ein Aspekt war die Frage, wie verschiedene Modelle sozialer Sicherung international vergleichbar gemacht werden. Das ist ja nicht selbstverständlich. Wir hatten überall in der Welt, aber auch in Europa verschiedene Modelle sozialer Sicherung, und die ILO hat in ihren ersten Statistiken diese Modelle miteinander vergleichbar gemacht. Dadurch hat die ILO neue Kategorien geschaffen und Dinge, die zuvor als unvergleichbar galten, in einen Zusammenhang gebracht. In meiner Dissertation habe ich mir angeschaut, wie sich diese Vergleiche im Laufe der Zeit gewandelt haben.

Wie stehst du denn der Tatsache gegenüber, dass man versucht, die gesamte Welt mit dem gleichen Maß zu messen? Das hat ja Vor- und Nachteile …

Ja, das hat Vor- und Nachteile und das ist auch ein wissenschaftliches Interesse, auch hier am SFB. Ich denke, es ist wichtig, dass man reflektiert an solche Untersuchungen bzw. Vergleiche und deren Ergebnisse herangeht und sich der Auswirkungen bewusst ist, die solche scheinbar unschuldigen epistemischen Instrumente haben. Wissenschaftliche Vermessungen und Vergleiche sind das eine, aber es hat noch einmal eine andere Tragweite, wenn wir uns die Arbeit internationaler Organisationen anschauen: Manche IOs bringen durch Vergleiche nicht nur Dinge in einen Zusammenhang, sondern sie erzeugen direkte politische Effekte beispielsweise über Performance-Vergleiche.

Da fallen mir sofort die PISA-Vergleichsstudien der OECD ein …

Das ist ein passendes Beispiel, ja.

In dem SFB-Teilprojekt B12 befasst ihr euch mit dem Krisenmanagement internationaler Organisationen während der Corona-Pandemie. Was ist dabei deine Rolle?

Es geht darum, welche Ideen und Vorschläge IOs im Rahmen dieses Krisenmanagements entwickelt haben. Das bezieht sich sowohl auf die Covid-Eindämmungsmaßnahmen direkt als auch auf politische Antworten auf sozio-ökonomische Auswirkungen der Pandemie. Ich beschäftige mich dabei schwerpunktmäßig mit der ILO, zu der ich ja schon in der Vergangenheit gearbeitet habe. Mein spezielles Interesse, das über den eigentlichen Projektkontext hinausgeht, gilt dabei der Bedeutung unterschiedlicher Formen, die Zukunft zu visualisieren. Ich schaue mir beispielsweise Krisennarrative an.

Mit dem Thema Krisen beschäftigst du dich schon länger: In deinem jüngsten Aufsatz analysierst du, wie internationale Organisationen auf den technologischen Wandel und den globalen Klimawandel reagieren.

Genau. Das Paper geht aus einem Projekt zu "anticipatory global governance" hervor, das ich mit Mathias Kranke von der Uni Kassel gestartet habe – es geht um die Frage, wie internationale Organisationen Zukünfte abbilden und welchen Effekt das auf ihre Politikgestaltung hat. Aus einer Reihe von Workshops ist bisher ein Special Issue in Global Society entstanden, in dem auch dieses Paper erschienen ist. Weitere Publikationen sind aber schon in Vorbereitung.

Mein Interesse war dadurch begründet, dass aktuelle sozialpolitische Diskurse häufig mit der Frage der Zukunft verbunden sind. Beim Klimawandel geht es darum, wie der Klimawandel begrenzt werden kann und wie man auf die Auswirkungen reagieren kann. Aber auch in Diskursen zu Digitalisierung und Automatisierung der Arbeit geht es um die Zukunft. Ich habe mir angeschaut, wie sich die verschiedenen Weisen, die Zukunft der Automatisierung der Arbeit und die Zukunft des Klimawandels zu beschreiben, auf sozialpolitische Vorschläge internationaler Organisationen niederschlagen. Dabei habe ich zwei Unterschiede festgestellt in der Weise, wie die Zukunft wirkt, was sich mit den Begriffen "Preparation" und "Precaution" zusammenfassen lässt. Entscheidend dabei ist: Wie sicher sind sich internationale Organisationen, dass eine bestimmte Prognose der Zukunft tatsächlich eintreten wird, und das hängt zusammen mit der Weise, wie die Zukunft "wissbar" gemacht wird. Im Falle des Klimawandels liegen, meist quantitative, Simulationen und Prognosen zugrunde, durch die internationale Organisationen mit großer Sicherheit davon ausgehen, dass die Welt sich in dieser und jener Weise verändern wird. Diese Sicherheit schlägt durch auf die Weise, wie IOs ihre sozialpolitischen Vorschläge diskursiv untermauern können: Demnach ist "Preparation" notwendig - wir müssen uns vorbereiten. In den Digitalisierungs- und Automatisierungsdiskursen liegen eher narrative Expertenurteile zugrunde,  die Prognosen der Zukunft sind daher umstrittener – aber wir sollten vorsorglich handeln: Stichwort "Precaution". Das hat natürlich beispielsweise Auswirkungen darauf, mit welcher Dringlichkeit Organisationen ihre Vorschläge bewerben können.

Sprechen wir noch kurz über deine persönliche Zukunft: Was sind deine Pläne für die Zeit nach der 2. Förderphase des SFB?

Ich möchte in der Wissenschaft bleiben, dementsprechend arbeite ich hier in Bielefeld an meiner Habilitation.

Dafür wünsche ich dir viel Erfolg. Vielen Dank für das Gespräch!


Kontakt:
Dr. John Berten
SFB 1342: Globale Entwicklungsdynamiken von Sozialpolitik, Fakultät für Soziologie
Universitätsstraße 24
33615 Bielefeld
Tel.: +49 521 106-4457
E-Mail: john.berten@uni-bielefeld.de